Aller Anfang ist schwer oder
„Die Akropolis von Hadamar“

 

Bildungspolitisch verfolgte die SPD unter dem Schlagwort „Chancengleichheit“ die flächendeckende Einführung integrierter Gesamtschulen, während die CDU am dreigliedrigen System von Haupt-, Realschulen und Gymnasien festhielt. Dieser Zwist zeigte sich recht deutlich im räumlichen Konzept des Schulgebäudes, das im Sinne einer Integrierten Gesamtschule ausgestaltet wurde. In dieses Gebäude zogen ab 1971 aber drei ehemals eigenständige Schulen ein, nämlich die Volksschule Hadamar, die sich in einem Gebäude hinter dem Hadamarer Rathaus befand, die Realschule, die im Gebäude der heutigen Grundschule Hadamar untergebracht war, und das Gymnasium im Hadamarer Schloss, das räumlich aus allen Nähten platze. Es wurde also eine Additive Gesamtschule mit Gymnasialer Oberstufe in ein Gebäude gepfercht, das zu einer Integrierten Gesamtschule passen sollte.

Die Firma Hoch-Tief aus Wetzlar wurde mit dem Neubau der Schule beauftragt, die wiederum ein Subunternehmen aus Rumänien engagierte. Die Arbeitsbedingungen waren aus heutiger Sicht unglaublich mies; so durften die Arbeiter die Stadt nicht betreten, mussten in Baracken auf der Baustelle leben, ohne fließendes Wasser. Kollege Peter Plail berichtete, dass seine Frau den Arbeitern Lebensmittel brachte und gelegentlich auch die Wäsche wusch.

Landrat Heinz Wolf betonte in seiner Ansprache während der offiziellen Einweihungsfeier1972, dass wir mit Baukosten von rund 14 Mio. DM weit, ich sage, weit unter den Richtsätzen des Jahres 1967 und des Jahres 1970 geblieben sind. (…) Wir haben sparsam, billig und gut gebaut. Es wurde auch schnell gebaut, denn die Schule wurde nach der Grundsteinlegung 1969 bereits zum Schuljahr 1971/72 bezogen. Dass schnell, sparsam, billig und gut nicht immer wirklich gut bedeutet, konnte man nach Beginn des einigermaßen regelmäßigen Unterrichts schon sehr bald feststellen.

Die Oberstufe ab Obersekunda (heute E-Phase), in die ich gerade versetzt worden war, hatte vor den Herbstferien 1971 mehrere Tage unterrichtsfrei und musste beim Umzug helfen. Das fanden wir toll. Unser Auftrag bestand darin, Gegenstände aus der Biologie-Sammlung, die sich im Schloss direkt hinter der Aula befand, zu Fuß in die neue Schule zu transportieren. So trug ich zwei ausgestopfte Vögel unter meinem Anorak vor dem niedergehenden Regen schützend ins vermeintlich Trockene. Vergebens! In der Schule war es kalt und feucht, überall standen Bottiche, Eimer und Schalen herum, in denen das durch die Decke tropfende Wasser aufgefangen wurde.

Die Ursache war recht einfach: Man hatte in dieser Zeit keinerlei Erfahrung mit Flachdächern, die aber Ende der 1960er Jahre als modern und schick galten. Eine mit der Ausführung beauftrage Dachdeckerfirma aus Niederhadamar war völlig überfordert, sie musste aus Gewährleistungsgründen immer wieder die Dächer der Schule abdichten und nachbessern.

Als ich 1989 als Studienrat an die Schule zurückkehrte, waren die Dächer immer noch undicht und wurden von 2008 bis 2010 erneut aufwändig und endgültig abgedichtet. Dabei wurde aus Styropor eine Unterkonstruktion mit einem Gefälle von 1° bis 2° eingebaut. Dadurch verbesserte sich auch die Wärmeisolierung in den naturwissenschaftlichen Räumen enorm, in denen vorher in kalten Wintern die Raumtemperatur kaum über 15°C zu bringen war.

An der FJLS waren zwischen den Klassenräumen leichte Rigipswände auf Holz-Unterkonstruktionen eingebaut. Nach kurzer Zeit waren so große Löcher in den Wänden, dass man relativ bequem von einem Raum in den nächsten kriechen konnte. Vom akustisch gemeinsamen Unterricht ganz zu schweigen. Manche Wände waren aus der Bodenverankerung gerissen, so konnte man sie leicht verschieben. Daraus entwickelte sich regelmäßig ein sehr sportlicher Wettkampf, welche Klasse die Wand weiter in den Raum der Nachbarn schieben konnte. In seiner Einweihungsrede bedankte sich Landrat Wolf ausdrücklich für diese verschiebbaren Wände, als ob es so gewollt gewesen wäre: Wir können die Wände in 35 Klassenräumen verschieben. In Wirklichkeit steckte auch hier das Konzept einer Integrierten Gesamtschule dahinter, denn die Räume sollten, je nach Bedarf, in der Größe angepasst werden. Wenn integrative Fächer unterrichtet werden sollten, wie Erdkunde oder auch Gemeinschaftskunde, dann musste der Raum die gesamte Klasse aufnehmen können, sollte der Unterricht aber leistungsdifferenziert erteilt werden, z.B. in den Sprachen und Mathematik, dann sollten die Klassen in kleinere Gruppen aufgeteilt werden, die dann mit kleineren Räumen auskommen konnten. Ich kann mich nicht erinnern, dass ein solches Unterrichtskonzept jemals auch nur ansatzweise an der FJLS stattgefunden hätte. Aber: Aus diesem Grund gibt es bis heute Klassenräume mit zwei Türen.

Von Beginn an mussten über 30 Wanderklassen eingerichtet werden. Die Schülerzahl stieg bis 1976 auf den Höchststand von 2541; die FJLS war in dieser Zeit vorübergehend die Schule mit der größten Schülerzahl in Hessen. Durch die große räumliche Enge und die tägliche Versammlung einer ungewohnt großen Menschenmasse kam 1973/1974 sogar die zaghafte Idee auf, mit einigen Klassen oder Jahrgängen oder gar der gymnasialen Oberstufe wieder ins Schloss zurückzukehren. Es blieb bei der Idee. Das Schloss stand anschließend jahrelang leer, wurde nicht gepflegt oder saniert, sodass es zu Vandalismus und Zerstörungen kam. So wurden aus der Decke in der Fürstenwohnung zwei Gemälde herausgeschnitten, die unwiederbringlich verloren sind.

Die Zahl von über 2000 Schüler musste täglich die Schule erreichen, nur ein Teil kam zu Fuß oder mit dem Fahrrad, einige auch schon mit dem PKW, die Mehrheit wurde mit Bussen herangekarrt. Vor dem Schulgebäude wurde eine riesige Bushaltestelle eingerichtet, auf der 18 Busse gleichzeitig halten konnten. Sehr problematisch war in den ersten drei Jahren die Tatsache, dass es nur eine Zufahrt zur Schule durch die Freiherr-vom-Stein-Straße gab und die Abfahrt durch die Hohlstraße noch nicht existierte. Daher mussten alle Busse auf dem Wendehammer, der bis heute noch vorhanden ist, rangieren. Eine einfache Kreisbahn war nicht möglich, sodass die Busse nur einzeln einfahren und zurücksetzen mussten und dann ausfahren konnten. In der engen Haarnadelkurve unterhalb der Schule kamen sich die Busse sehr nahe und oft stockte der Verkehr. An den jeweils letzten Tagen vor Ferienbeginn mit Zeugnisausgabe war schon damals die Situation vergleichbar mit dem heutigen Verkehrschaos, mit dem Unterschied, dass für die über 2000 Schüler über 20 Busse gleichzeitig benötigt wurden und letztlich ganz Hadamar verstopften.

In den Jahren 1970 bis 1973 wurden unter Bundeskanzler Willy Brandt zahlreiche Verträge mit osteuropäischen Ländern geschlossen, unter anderem auch der Grundlagenvertrag mit der DDR. Die Bundestagsdebatten wurden dazu live im Fernsehen übertragen. An mehreren Vormittagen sah daher der Unterricht so aus, dass der Stundenplan außer Kraft gesetzt wurde, zwei Klassen zusammen auf Tischen und Stühlen vor einem Fernsehgerät hockten und die Debatte über mehrere Stunden verfolgten, wobei die Redebeiträge vor allem von Willy Brandt, Franz-Josef Strauß und Herbert Wehner bleibende Eindrücke hinterließen.

Eines Morgens ging während einer Deutsch-Stunde der Alarm los (ein Ton aus den Lautsprechern). Unsere Lehrerin, Frau Dr. Jansen, nahm diesen nicht sonderlich ernst und fuhr unbeirrt mit ihrem Unterricht fort. Plötzlich kam der Kollege Kurt Buss hereingestürmt und war sichtlich entsetzt, dass wir noch immer auf unseren Plätzen saßen und Gedichte interpretierten. Sofort stürmten alle aus dem Klassenzimmer - bis auf Frau Doktor, die dem letzten Schüler hinterherrief: „Retten Sie das Klassenbuch!“ Sammelstellen oder ein Kontrollsystem, ob alle das Gebäude verlassen hatten, gab es noch nicht. So suchten wir in gewohnter Weise den Raucherhof auf, blieben selbstverständlich direkt vor den Türen stehen und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Relativ bald durften wir zurück ins Gebäude. Bei dem Täter handelte es sich um einen Schüler, der die Schule kurz zuvor verlassen hatte. Er rief von einer Telefonzelle an, die sich damals direkt vor dem heutigen Lehrezimmer II befand, um seine Bombendrohung abzusetzen. Auch wenn es sich vielleicht wie eine lustige Episode anhört, so war uns damals doch etwas mulmig zu Mute. Die innenpolitischen Zeiten waren unruhig und man war im Umgang mit Terrorismus sehr unerfahren, wie wenig später das grausame Attentat während der Olympischen Spiele in München und andere Anschläge der RAF zeigten.

 Telefonzelle in der Pausenhalle

 Telefonzelle in der Pausenhalle

Meine Schulzeit endete im Jahr 1974 mit dem Abitur. Wenige Tage vor der Entlassungsfeier in der Aula – ohne Abi-Ball, der war damals noch nicht erfunden – führte meine Klasse ihre Traktorfahrt durch; eine Tradition, die heute aus Sicherheitsgründen untersagt ist. Dazu hatten wir einen Traktor samt Anhänger organisiert, mit frisch geschnittenem Laub geschmückt und darauf ein Klavier gestellt, auf dem während unserer Tour kräftig in die Tasten gehauen und dazu fleißig gesungen wurde. Hinzu kam noch ein 20-Kisten-Biervorrat! Während unserer Rundtour durch Hadamar und die angrenzenden Gemeinden besuchten wir einige Eltern und Lehrer. Pünktlich zur 2. großen Pause fuhren wir auf den Nordhof der Schule, auf unseren geliebten Raucherhof, sangen unsere umgetexteten Lieder und hatten viel Zulauf. Unsere unkultivierte Gesangseinlage im Lehrerzimmer, zu dem wir uns mit etwas Druck Einlass verschafft hatten, kam nicht wirklich gut beim Lehrkörper an. Unsere Entlassung wurde als Befreiung empfunden - auf beiden Seiten.

 

Ulrich Schoth, OStR i. R.

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