Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft
Gedanken zum Jubiläum der Fürst-Johann-Ludwig-Schule in Hadamar

 

Keine der zahlreichen Schriften des Kirchenvaters Augustinus ist über die Jahrhunderte hinweg so häufig gelesen worden wie die "Confessiones". Im Kapitel 11 dieser seiner Autobiographie - einem Buch der Erinnerung - bedenkt Augustinus die menschliche Erfahrung der Zeit und der Lebenszeit als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Er weiß, dass es vergangene Zeit nicht gäbe, wenn nichts verginge, künftige Zeit nicht wäre, wenn nichts herankäme, und gegenwärtige Zeit nicht sein kann, wenn nichts seiend ist.

Von drei Zeiten kann Augustinus nur im Sinn einer dreimaligen Gegenwart sprechen: Die Vergangenheit ist in der Erinnerung gegenwärtig, die Zukunft in der Erwartung, die Gegenwart erleben wir als "Jetzt"- Zeit.

Wenn Menschen sich erinnern, wird die Vergangenheit gegenwärtig vorstellbar, wenn sie etwas erwarten, wird die Zukunft gegenwärtig vorstellbar. Die Gegenwart nimmt das Hier und Heute in Augenschein. Erinnerung und Erwartung fließen in den großen Strom der Gegenwart.

Die Fürst-Johann-Ludwig-Schule hat in meinem Leben und im Leben meiner Familie eine wesentliche Rolle gespielt: 1958 hatte ich mein Abiturzeugnis in der Hand, meine Tochter Michaela 1987, mein Sohn Johannes 1988. Mein Schwiegervater, evangelischer Pfarrer von Hadamar, war einige Jahre mein Religionslehrer, sein Sohn, ebenfalls Fürst-Johann-Ludwig-Schüler, war mein Ehemann und Vater meiner Kinder.

Die Hadamarer Schule ist zu meiner Schulzeit ein humanistisches oder altsprachliches Gymnasium gewesen mit Latein und Altgriechisch als ordentlichem Lehrfach bis zum Abitur.

Ich erinnere - was man so alles erinnert: Die Aufnahmeprüfung hatte ich bestanden. Auf die neue Schule freute ich mich, vor allem darauf, Latein zu lernen. Überrascht war ich erst einmal, dass nur drei Mädchen zur neuen zahlenmäßig großen Klasse gehörten. Mädchen blieben in allen Schulklassen zu dieser Zeit eine verschwindende Minderheit. In den letzten drei Schuljahren war ich das einzige Mädchen in der Klasse.

Ich erinnere mich auch meiner damalig neuen Mitschüler/innen, nicht wenige geprägt von Kriegskindheitserfahrungen, von Luftangriffen, Tieffliegern, Verlust des Vaters, Flucht und Vertreibung, Hunger, Angst und Gewalt.

Ich erinnere das Erlebnis meiner ersten Lateinarbeit in der Sexta. Was ich mir genau unter "Latein lernen" vorgestellt hatte, weiß ich nicht mehr. Ich kannte auch niemanden, der Latein gelernt hatte. Vielleicht erwartete ich, diese neue Sprache in kurzer Zeit sprechen zu können. Doch davon konnte keine Rede sein. Meine Enttäuschung war groß, als ich merkte, wie mühsam Latein zu lernen war. Ridere - lachen, flere - weinen, das wusste ich nun. Anstrengend war es und ein bisschen langweilig. Sollte ich mich nun freuen?

Ja, ich freute mich auch. Ich hatte endlich eine richtige Freundin. Das hatte zwar mit Latein nichts zu tun, führte aber im Zusammenhang mit Latein zu einem besonderen Erlebnis. Dietlinde, meine neue Freundin, hatte einen Vater, der Latein konnte. Und vor der ersten Lateinarbeit hatte er vielleicht mit seiner Tochter ein wenig geübt. Wie dem auch gewesen ist: Im Nu war sie mit der Lateinarbeit fertig, brachte ihr Heft zu unserem Lehrer, der es freundlich im Empfang nahm, und bekam die Erlaubnis, in den Pausenhof zu gehen. Und ich saß weiterhin in der Bank. Ich war in der Tat noch nicht fertig, fasste aber nach kurzer Zeit den Entschluss - genug ist genug -, mein Heft auch abzugeben. Dietlinde freute sich sehr, als ich im Pausenhof erschien, und wir spielten wie gewohnt Fangen.

Als ich kurze Zeit später meine Lateinarbeit mit einer sehr schlechten Note zurückerhielt, weinte ich herzzerreißend und vor allem laut. Mein Lateinlehrer fand tröstende Worte und sagte, das nächste Mal sollte ich "alles" machen, eben alles, und nicht nur die Hälfte. Mir ist diese Situation lebendig im Gedächtnis geblieben. Ich hatte etwas gelernt.

Die Schulzeit meiner beiden Kinder verlief unaufgeregt. Abgesehen davon, dass mein Sohn sich in der Oberstufe weigerte, am Religionsunterricht teilzunehmen und das zu einigen Auseinandersetzungen auch mit mir führte, waren Schule und Lehrer/innen in der Regel positiver Gesprächsstoff. Selbstverständlich war es für beide, als erste Fremdsprache Latein zu wählen. Sie sagen heute, dass es für ihr Studium - Medizin und Jura - ein Vorteil gewesen ist.

Mit der Fürst-Johann-Ludwig-Schule bin ich also zeit meines Lebens vielfach verbandelt: als Schülerin, als Mutter, im Beziehungsfeld zweier Familien und als Mitglied des Vereins der Ehemaligen.

Ich weiß - auch als heute pensionierte Lehrerin -, wie wichtig es ist, welche Erfahrungen Kinder und Jugendliche während ihrer Schulzeit machen und wie prägend sie sein können. Ich weiß aber auch, dass es in der Schule nicht nur - wie man so sagt - um "Lesen, Schreiben und Rechnen" gehen darf, sondern, und das nicht zuletzt, um Denken und Handeln, um Nachdenklichkeit und Tun.

Die Zeit, in der wir heute leben, ist geprägt von den Problemen des Klimawandels, des Artensterbens und der Pandemie.

Auf dem Hintergrund dieser weltweit bedrohlichen Entwicklungen hat die Schule die dringliche Aufgabe, ethische Fragen zu diskutieren, z.B. die Frage nach unserer Bereitschaft, Verantwortung (Mit-Verantwortung) zu übernehmen. Eine Ethik der Verantwortung als Grundorientierung des Lebens fragt danach, welches Menschenbild uns prägt, welchen Stellenwert menschliches Leben hat, was soziale Gerechtigkeit bedeutet. Sie fragt nach der Friedensbereitschaft und der Friedensfähigkeit der Menschen, nach dem Verhältnis von Mensch und Natur. Sie fragt, um mit Albert Schweitzer zu sprechen, nach der "Ehrfurcht vor dem Leben".

Bereitschaft, Mit-Verantwortung zu übernehmen, hat mit Gestaltenwollen und Kreativität zu tun. Dazu braucht es kluge, phantasievolle Menschen, die bereit und fähig sind, mit Einfühlungsvermögen, Lebenskraft und Mut Zukunft zu gestalten, um Leben für kommende Generationen zu erhalten. Darum geht es. DARUM.

Mein herzlicher Dank und meine guten Wünsche verbinden sich in Vergangenheit und Gegenwart mit der Fürst-Johann-Ludwig-Schule, der ich für alle Zukunft, zu allem Tun und Lassen den Segen Gottes wünsche.

 

Siglinde Berg

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