Die Geburtswehen der Gesamtschule Hadamar

 

Als ich 1968 als Studienassessor ins Kollegium des Gymnasiums Hadamar eintrat, steuerten die mit härtesten Bandagen geführten Auseinandersetzungen um die hessische Schulpolitik auf ihren Höhepunkt zu. Ludwig von Friedeburg wurde Hessischer Kultusminister und begann den bundesweit wohl radikalsten Angriff auf die höheren Bildungsanstalten des Landes. Um mehr Chancengleichheit und Durchlässigkeit zu erreichen, postulierte er folgende Ziele: Die Umwandlung des dreigliedrigen Schulsystems in Gesamtschulen. Die landesweite Einrichtung von Förderstufen für die Jahrgangsstufen 5 und 6, die Einführung neuer Rahmenrichtlinien, die Integration der Fächer Geschichte und Erdkunde in Gesellschaftslehre und die Einführung der Mengenlehre in Mathematik.

 

Neubau ja, aber keine Gesamtschule

Kein Wunder, dass das vom hessischen Philologenverbandsvorsitzenden Hermann Jung geleitete traditionsbewusste Gymnasium mit den dominierenden Altsprachlern in der von den hessischen Universitäten und Studienseminaren ausgehenden Reformpädagogik das Teufelswerk schlechthin und den Untergang des Abendlandes erblickte. Nur wenige Junglehrer, geprägt von der 68er Bewegung und der Aufbruchstimmung der Willy-Brandt-Regierung befürworteten die Reform, waren aber auf verlorenem Posten.
Ausgerechnet in dieser heißen Phase der schulpolitischen Diskussion mussten sich die Hadamarer Schulen, die unter extremer Schulraumnot litten, für den Neubau einer Gesamtschule auf dem Wingertsberg entscheiden. Während die Haupt- und Realschule schon eher geneigt war, in ein gemeinsam mit dem Gymnasium genutztes Gebäude umzusiedeln, beharrte das Kollegium der Fürst-Johann-Ludwig-Schule mit großer Mehrheit auf der Eigenständigkeit und der strikten Separation der drei Schulformen. Bezeichnenderweise sprach man von einem Schulzentrum. Damit wollte man das ungeliebte Wort Gesamtschule bewusst vermeiden.
Dagegen bestand das Kultusministerium auf der alle Schulformen umfassenden Gesamtschulkonzeption. Auch der Kreis als Schulträger beschloss in einem lang diskutierten Schulentwicklungsplan den Bau einer Gesamtschule mit zukünftiger Förderstufe. Schließlich machte der Kultusminister im Gründungserlass von 1971 klar, dass die Hadamarer Schule eine "additiv/kooperative Gesamtschule" sei. Die Einrichtung einer Förderstufe sollte später erfolgen.

 

Ein Gesamtschulgegner wird Direktor

Gegen seine innere Überzeugung schluckte Hermann Jung schließlich die Kröte Gesamtschule. Er konnte aber durchsetzen, dass das Gymnasium einerseits und Haupt-und Realschule andererseits strikt voneinander getrennt wurden. Statt einer integrierten gab es eine additive Gesamtschule ohne Förderstufe. Die Lehrerzimmer waren voneinander getrennt. Die Raumaufteilung erfolgte nach Schulformen und nicht nach Jahrgangsstufen. Und ganz wichtig: Die Schule durfte sich weiterhin Fürst-Johann-Ludwig-Schule nennen. Hermann Jung blieb als Oberstudiendirektor Schulleiter der von ihm so ungeliebten Schulform. Beide Entscheidungen waren u. a. im Kreistag heftig umstritten.

Schulorganisatorisch sollten lediglich die Fachtrakte und die Sporthallen gemeinsam genutzt werden. Immerhin gab es an übergreifenden Elementen die Gesamtkonferenz, die Fachkonferenzen und später einige Arbeitsgemeinschaften. Auch der Elternbeirat und die Schülervertretung konstituierten sich schulzweigübergreifend.
Nach dem Einzug in das neue Schulgebäude versuchte eine Minderheit aus reformorientierten Lehrkräften mit Anträgen in der Gesamtkonferenz die strenge Trennung der Schulzweige zu überwinden. Sie scheiterten aber regelmäßig an der Mehrheit und an Hermann Jungs Motto: „Das geht nur über meine Leiche“.

Während die Kultusminister-Protagonisten die additive Gesamtschule als Übergangsform für eine zukünftige integrierte Gesamtschule sahen, erkannte die Majorität der Hadamarer Lehrerschaft in der schulformbezogenen Organisation lediglich das kleinere Übel. Die Rettung der eigenständigen Schulzweige, und des grundständigen Gymnasiums mit gymnasialer Oberstufe wurde als Teilerfolg verbucht. Allerdings galt während der gesamten Jung`schen Ägide das Motto: „So viel Separation wie möglich, so wenig Integration wie nötig“.

 

Miserable Bauausführung

Überschattet wurden die systemischen Auseinandersetzungen jedoch von der Erkenntnis über den katastrophalen baulichen Zustand der „neuen" Schule. Die Firma Hoch-Tief hatte ein miserables Bauwerk erstellt. Nicht nur, dass es beim Bezug - die Haupt- und Realschule war schon im Februar des Schuljahrs 70/71 eingezogen - noch unfertige Baustellen gab (z. B. Lehrerzimmer und Verwaltungstrakt waren noch im Rohbau, die Sporthallen noch nicht begonnen, ganz zu schweigen von Außenanlagen), sondern auch die Bauausführung wies große Mängel auf. Die Halle und die Treppenaufgänge befanden sich in einem tristen Grau-in-Grau. Es gab keine freundlichen, leuchtenden Farben und die Flachdächer waren an vielen Stellen undicht. Kein Wunder, denn die Gesamtschule Hadamar war die einzige Schule, die unter den veranschlagten Kosten geblieben war. So sah sie auch aus. Der Kreis als Schulträger wurde zwar für seine Sparsamkeit gelobt, er befand sich aber einige Jahre in juristischen Auseinandersetzungen bezüglich der Haftung für die Mängel.

 

Raumnot nicht beseitigt und katastrophale Lehrerversorgung

Es kam noch viel schlimmer. Die mit dem Neubau verbundenen Hoffnungen der Kollegien wurden bitter enttäuscht. Die extreme Raumnot wurde nicht beseitigt. Das Raumprogramm war geplant für 1650 Schüler. Die Schülerzahl betrug aber bereits beim Umzug über 2000. Sie steigerte sich explosionsartig schon im Schuljahr 1973/74 auf 2450 und erreichte schließlich ihren Höhepunkt 77/78 mit 2541 Schülern. Es gab 68 Klassenräume aber 79 Klassen. Fachräume wurden in Klassenräume umgewidmet, die Klassenfrequenzen bis zum obersten Limit ausgereizt, Wanderklassen eingerichtet, Räume geteilt und Unterricht gekürzt. Das böse Wort von der "Schulfabrik Hadamar" machte die Runde.

Hinzu kam eine gravierende Unterbesetzung des Kollegiums. Hier versagte die SPD-geführte Landesregierung hessenweit. Statt ihre mit großem Propagandaaufwand errichteten Gesamtschulen personell und sächlich befriedigend auszustatten, nahm sie sie diese Defizite in Kauf. Dem Lehrersoll von 116 Stellen stand für das Schuljahr 73/74 ein Ist von 97 Lehrern gegenüber. Das Versagen des Kultusministers führte auch im Limburger Raum zu permanenten Protesten der Elternbeiräte und der Lehrerschaft. Hadamarer Schüler zogen unterstützt von einigen Lehrern öfters zu Protestversammlungen nach Limburg.

 

Pädagogischer Realismus und Pragmatismus

Doch nach den turbulenten Anfangsjahren glätteten sich allmählich die Wogen. Die Systemfrage trat in den Hintergrund. Seit 1975 wurde die Lehrerzuweisung verbessert und seit 1980 sanken auch die Schülerzahlen. Schulleitung und Lehrerschaft konzentrierten sich mit großem Engagement auf die Verbesserung der pädagogischen Situation. Im Fokus standen dabei die Schullaufbahnberatung und die Konkretisierung der Lehrpläne. Ihre innovative Kraft und Kreativität wurde beispielweise deutlich in gemeinsamen Konferenzen mit den Grundschulen des Einzugsbereichs zur Erarbeitung von Übergangskriterien, in der Zusammenfassung der Jahrgangsstufen 5 und 6 zu einer pädagogischen Einheit mit intensiven Eltern- und Umstufungsberatungen, in der Ausweitung der Umstufungspraxis auf die Klassen 8 bis 10, in der Erarbeitung von zweigübergreifenden Lehrplänen nach dem Fundamentum-Additum-Prinzip und der Förderung der Hauptschule.
So erarbeitete sich die Fürst-Johann-Ludwig-Schule auch als additive Gesamtschule einen guten Ruf, der sich noch verstetigte, als das äußere Erscheinungsbild durch bauliche Maßnahmen und leuchtende Farbgestaltungen verbessert wurde.

 

Werner Wittayer, StD i. R.

 

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